Sonntag, 10. Juni 2012

in der Presse: Fashion School for Kids


Fashion School for Kids mit 2 großen Seiten in der Berliner Morgenpost WOW!!




Samstag, 9.Juni 2012

Die tapferen Schneiderlein

Kleidung selbst zu stricken oder zu nähen, liegt im Trend. Schon viele Kinder tragen lieber Unikate aus Eigenproduktion als Markenklamotten. Ein Besuch in einer Kinder-Nähschule 
Von Annette Kuhn

Es rattert, als würden zehn Züge gleichzeitig vorbeirauschen. Tatsächlich sind es aber zehn Nähmaschinen, die die zwei kleinen Ladenräume in der Charlottenburger Sybelstraße in so etwas wie einen Bahnhof verwandeln. Von der Geräuschkulisse und auch von der Geschäftigkeit, die hier an diesem Montagnachmittag herrscht. Emma versucht einen Faden einzufädeln. Bei Isabelle rattert die Maschine schon. Hannah sucht freie Fläche, um die weißgetupften Stoffstücke, aus denen mal eine Bluse werden soll, richtig übereinander zu legen. Bei Antonia hinten in der Ecke zischt das Dampfbügeleisen, und Marie ruft Frau Funk um Hilfe, weil sie mit ihrer Jacke nicht weiterkommt. Aber Frau Funk ist schon belagert von Olga und Allison.

Es ist Nähzeit in der Fashion School for Kids, der einzigen Modeschule in Berlin ausschließlich für Kinder. Vor knapp vier Jahren hat sie Ruth-Janessa Funk gegründet. Hier bietet sie jede Woche vier Nähkurse für Kinder und Jugendliche sowie einen Termin für Modezeichnen an. Dazu kommen Angebote in den Ferien. Viele, die einmal herkommen, bleiben. Manchmal Jahre. Zum Beispiel Olga. Sie fährt jede Woche aus Zehlendorf nach Charlottenburg. "Das ist einfach cool, Klamotten selbst zu machen", sagt die 14-Jährige, "und etwas zu tragen, was nicht jeder hat". Olga steht vor dem Spiegel und dreht sich in ihrem bodenlangen beigefarbenen Rock einmal um die eigene Achse. Vorsichtig muss sie dabei sein, damit die Nadeln, die die Naht entlang gesteckt sind, sie nicht piksen. Ihre Freundin Antonia hält dabei den viel zu langen Saum wie eine Schleppe.

Oft hapert es an der Feinmotorik


An diesem Montag sind 13 Kinder in den anderthalbstündigen Nähkurs gekommen, "das ist die absolute Obergrenze", erklärt Ruth-Janessa Funk. Dann sind wirklich alle Maschinen besetzt und sie hat alle Hände voll zu tun, Fragen zu beantworten und Schaden zu begrenzen. Funk springt von einem Tisch zum nächsten. Hier muss sie eine Naht neu stecken, dort Schnitthilfe leisten. Vor allem beim Stecken und Heften gebe es immer wieder Probleme. "Die feinmotorischen Fähigkeiten sind bei vielen Kindern heute weniger ausgeprägt", hat Funk beobachtet. Und natürlich fehle es häufig an der nötigen Geduld: "Warten, das kann eigentlich keiner hier", erklärt sie lachend.

Unterstützt wird Ruth-Janessa Funk von einer Assistentin und manchmal von ihrer 16 Jahre alten Tochter Marie Lilien. Sie hat das Handwerk von ihrer Mutter gelernt. Die beiden Söhne (19 und 13 Jahre) zeigen in Sachen Nähen weniger Ambitionen, dabei sei es nicht so, dass Jungen generell keine Lust zur Handarbeit hätten, betont Funk. Zwar kommen meistens Mädchen in ihre Kurse, aber sie ist überzeugt, dass sich das bald ändert. Am Boy's Day im April war ein Junge in der Nähschule, der so begeistert war, dass er am liebsten sein parallel zum Nähkurs laufendes Basketball-Training an den Nagel gehängt hätte. Doch seine Mutter legte ein Veto ein.

Auf die Idee zur Kindermodeschule kam Funk vor einigen Jahren in München, wo sie als Modedesignerin arbeitete. In der Grundschule ihrer Kinder wurden damals die Berufe der Eltern vorgestellt und Funk musste sich überlegen, wie sie Drittklässlern beibringen könnte, was Mode ist. Schließlich entschied sie sich, mit den Kindern das Modezeichnen zu üben, was gut ankam. Als Funk dann vor vier Jahren nach Berlin zog und einen Showroom für ihre Kinderkollektion suchte, fand sie die Räume in der Sybelstraße, die eigentlich zu groß waren. Was also tun mit dem übrigen Platz? So war die Idee zur Modeschule geboren. Eine Marktlücke, wie sich bald zeigte, denn kaum jemand scheint heute noch in der Lage, Kindern die Techniken beizubringen. Textiles Gestalten oder Handarbeit stehen in der Schule nicht mehr auf dem Stundenplan, sondern werden höchstens am Rande im Kunstunterricht gelehrt.

Auch die heutige Mütter-Generation kann kaum mit Nadel und Faden umgehen und ihren Kindern daher gerade mal beibringen, ein Loch zu stopfen oder einen Knopf anzunähen. Kleidung selbst zu nähen oder zu stricken, das galt in der Jugend der heute 30- bis 45-Jährigen als piefig oder ökomäßig und war eher verpönt. Und die Großmütter, für die eine Nähmaschine noch selbstverständlich zu den Hausgeräten zählte, wohnen heute oft weit weg von den Enkeln und fallen damit als Nählehrerinnen auch aus.

Dabei sind selbstgemachte Sachen - ob Geschenke oder Mode - mehr denn je angesagt. Und das nicht nur bei Kindern. Nach Angaben des Branchenverbandes Initiative Handarbeit wurden im vergangenen Jahr von Kunden mehr als eine Milliarde Euro für Handarbeitsbedarf ausgegeben. Das sind 2,5 Prozent mehr als im Vorjahr und 15,3 Prozent gegenüber 2007. Mit 360 Millionen Euro fällt der größte Posten auf Wolle, gefolgt von Stoffen mit 350 Millionen Euro. Stricken und Nähen sind heute gesellschaftsfähige Hobbys. Und immer mehr Fachgeschäfte bieten gesellige Stricknachmittage oder Näh-Workshops an. Berlin habe dabei in Sachen kreative Angebote eine Vorreiterrolle, sagt Angela Probst-Bajak von der Initiative Handarbeit.

Sogar Häkeln und Sticken erleben eine Renaissance. Allerdings würde man heute andere Akzente setzen als noch vor 20 Jahren, wo sich die gehäkelten oder gestickten Erzeugnisse auf Topflappen oder Zierdeckchen für Couchtische beschränkten, betont Angela Probst-Bajak. Dank Internetshops wie Da Wanda gibt es heute ein großes Angebot an kreativen Produkten: Taschen, Haarschmuck, Mützen und Babykleidung gibt es als Häkelware - und als Unikate.

In dem Wunsch nach etwas Besonderem sieht auch Peter Wippermann, Gründer des Trendbüros, eine Erklärung für den Hype der Handarbeit. Die Menschen wollten nicht das ewig gleiche Warenangebot vorfinden, sondern hätten ein großes Bedürfnis nach Individualität. Groß sei auch die Sehnsucht nach Echtem und Handgemachtem: "Viele Menschen wollen wieder etwas in der Hand haben. Farbe riechen, Holz spüren, Dinge sinnlich erfahren." Und Eltern wollen diese Erfahrung ihren Kindern vermitteln. Daher gibt es auch für Kinder immer mehr Angebote, um Handarbeit zu lernen. Besonders hoch im Kurs steht das Nähen. Strick- und Häkelkurse gibt es weniger für Kinder. "Das läuft nicht", sagt Ruth-Janessa Funk, "dafür reicht die Geduld der Kinder meist nicht". Einen Pullover zu stricken dauert viel länger als einen Rock zu nähen. Auch die 13-jährige Katharina zieht das Nähen dem Stricken vor - weil es flexibler sei. "Beim Stricken kann man höchstens Oberteile oder einen Schal machen - beim Nähen geht alles." Außerdem sei es schwer, alle Maschen auf der Nadel zu halten.

Erste Stunde: Näh-Führerschein
Allerdings will auch das Nähen erst einmal gelernt sein. Nicht jede Naht klappt auf Anhieb. Olga erinnert sich an eine Jogginghose, auf die sie zwei Taschen aufnähte. Die eine saß super, die andere wölbte sich wie ein Beutel. Noch heute ärgert sich Olga ein bisschen, wenn sie die Hose trägt. Und Katharina findet es auch nach zwei Jahren noch schwer, eine Naht wirklich ganz gerade hinzubekommen. Umso größer ist dann aber das Erfolgserlebnis, wenn der Rock, die Shorts oder das Kleid endlich fertig sind.

Und ein Rock muss es mindestens sein. "Die Kinder wollen nicht das 1000. Täschchen nähen", erklärt die Leiterin der Nähschule, "nein, sie wollen Kleidung machen". Schon in wenigen Stunden kann der erste Rock oder das erste Kleid fertig sein - natürlich nach einfachen Schnitten. Davon gibt es in dem Ladenlokal ein ganzes Regal voll, aus denen die kleinen Designerinnen wählen können. Selbst die neunjährige Allison, die jüngste unter den Schülerinnen, hat sich schon ein Kleid genäht. Auch sie ist inzwischen schon ein Jahr dabei und hat gegenüber der Nähmaschine längst alle Berührungsängste verloren.

Wer zum ersten Mal in die Fashion School for Kids kommt, macht allerdings erst einmal einen Nähmaschinen-Führerschein. Die Kinder lernen, die Maschine zu bedienen, den Stoff richtig einzulegen und eine Naht zu nähen, gerade und mit Zickzack. "Klingt einfach, ist es aber nicht", sagt Ruth-Janessa Funk. Das Tempo müsse stimmen, der Stoff richtig geführt und der Stich an den Stoff angepasst werden. Als Beweis der neu erworbenen Fähigkeiten applizieren die Näh-Novizen ein Herz auf ein Stück Stoff, quasi ihr Gesellenstück.

Und ganz nebenbei reiften die Kinder dabei auch noch, ist Funk überzeugt: "Wenn die Kinder die Maschine beherrschen, gibt das schon einen ersten Schub fürs Selbstbewusstsein." Und der zweite kommt gleich hinterher, wenn die Kinder sich ihren eigenen Beutel nähen. Größe und Schnitt sind vorgegeben, den Stoff suchen sich die Kinder selber aus. Der Beutel bleibt dann in der Nähschule, weil die Kinder in ihm bis zur nächsten Woche ihre Näharbeit aufbewahren.

Auch soziale Kompetenzen würden im Nähkurs vermittelt werden, ist Ruth-Janessa Funk überzeugt. Die Kinder helfen sich gegenseitig, zum Beispiel fädelt gerade Emma einen Faden für Katharina ein und Leah hält Charlotte das unfertige Kleid an - allerdings kann sie sich dabei die Bemerkung nicht verkneifen: "Was soll denn das sein - willst du einen Vorhang für meine Oma machen?" Natürlich ist das nur spaßig gemeint und die beiden Mädchen fallen in prustendes Gelächter, aber kritikfest muss man hier dennoch sein. Wer zu klein zuschneidet - ein häufiger Fehler, wie Funk festgestellt hat, oder eine Naht schief geworden ist, wird spätestens vor dem Spiegel mit der bitteren Wahrheit konfrontiert. Aber auch das sei eine wichtige Erfahrung.

Vor allem aber fördert das Nähen die Kreativität. Für Isabelle fängt die schon an, wenn sie sich einen neuen Stoff aussucht und sich mit dem Stoffballen in der Hand ausmalt, was daraus werden könnte. Gerade versucht sie aus einem roséfarbenen Stoff einen Faltenrock zu machen. Und mitunter springt der Kreativitätsfunke von den Kindern auch auf die Eltern über. "Wir haben eine Nähmaschine zu Hause, aber die wird eigentlich gar nicht mehr benutzt", erzählt Maries Vater, als er seine Tochter nach dem Kurs abholt. Er selbst habe früher Kleidung für Marionetten genäht, und wenn er jetzt sieht, was Marie für kreative Dinge näht, bekomme er selbst Lust, die Maschine wieder rattern zu lassen.